Hate Speech – die Streitschlichtung als Stolperstein für Betroffene

 

Hate Speech (englisch für Hassrede) bezeichnet nach der Definition Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine Reihe menschenverachtender Aussagen, die sich auf unterschiedliche Merkmale beziehen, etwa Hautfarbe, Herkunft, Sexualität, Geschlecht, Behinderung, sozialen Status/Einkommensverhältnisse oder Religion. Dabei zielt Hassrede auf die Herabwürdigung ganzer Menschengruppen oder die Überhöhung der eigenen(vermeintlichen) Gruppe ab.1

Problemaufriss

Wer in sozialen Netzwerken beleidigt wird, hat juristisch mehrere Handlungsoptionen. Dazu zählen die Strafanzeige bei der örtlich zuständigen Polizei und/oder Staatsanwaltschaft oder die zivilrechtliche Durchsetzung unter Zuhilfenahme von Rechtsanwält*innen.

Dieser Beitrag befasst sich mit einem Stolperstein der zivilrechtlichen Durchsetzung. Hier müssen Betroffene von ehrverletzenden Delikten zunächst eine außergerichtliche Beilegung des Rechtsstreits in einem Schiedsstellenverfahren durchlaufen.

Die Streitschlichtung bei Hate Speech anwendbar?

Die obligatorische Streitschlichtung im Nachbarschaftsrecht beispielsweise bei Streitigkeiten wegen dem Apfelbaum oder überhängenden Ästen2 ist weitläufig bekannt. Nicht selten kommt es auch im Nachbarschaftsrecht dazu, dass strafbare Beleidigungen nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) vom analogen Raum digital weiter oder gänzlich in den sozialen Netzwerken ausgetragen werden. Was passiert aber, wenn der nachbarschaftliche Bezug fehlt, dennoch auf den sozialen Netzwerken sich beleidigt wird und es sich um zwei Personen mit Wohnort im selben Bundesland handelt?

Ausgangspunkt zur Klärung hierfür bildet zunächst § 15a Abs.1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (EGZPO). Dort wird unter anderem bestimmt, dass eine Erhebung der Klage erst zulässig ist, wenn erfolglos versucht wurde, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Nach § 15a Abs.1 EGZPO tritt die Verpflichtung dann in Kraft, wenn es sich um Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre handelt. Das Verfahren ist nicht zu versuchen, wenn die Verletzung der persönlichen Ehre im Rundfunk oder Presse begangen worden ist.

Mit dem Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetz Sachsen-Anhalt (SchStG LSA) vom 22. Juni 2011 erfolgte in § 34a SchStG eine inhaltsgleiche Ausformung.

In der Konsequenz müssen Betroffene von Hass im Netz, wenn sie den eingangs erwähnten zivilrechtlichen Weg der Klage wählen wollen, das obligatorische außergerichtliche Schiedsstellenverfahren durchlaufen.

Dabei dürfte allein der Kostenaspekt für Betroffene relevant sein: Nach § 46 Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetz (SchStG) erhebt die Schiedsstelle für ihre Tätigkeit Kosten.

Vor allem aber sind nach § 23 Abs. 3 SchStG beide Parteien zum persönlichen Erscheinen zur Schlichtungsverhandlung verpflichtet. Da Betroffene dabei auf die Verursacher von Hass im Netz treffen, ist die Anwendung dieser Regelung zweifelsfrei diskussionswürdig und kritisch zu bewerten.

Verfolgen Betroffene den strafrechtlichen Weg und erfüllt die Äußerung den Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB, zeigen sich auch dabei Hindernisse. Wenn nämlich die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, kann das Verfahren auch eingestellt werden. Besteht kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, wird bei der Beleidigung auf den Privatklageweg nach § 374 Strafprozessordnung (StPO) verwiesen. Betroffene müssen dann selbst Klage erheben.

Unter Expert*innen ist daher klar, dass der Gesetzgeber „der Privatklage nicht freundlich gegenüber [steht]“3. Um eine Verurteilung der Beschuldigten zu erreichen, müssen Privatklagewillige erhebliche Lasten tragen, hohe Hürden überwinden und nicht unerhebliche (Kosten-)Risiken in Kauf nehmen.4

Betroffenen wird damit die Chance genommen, im sogenannten Adhäsionsverfahren nach § 403 StPO den zivilrechtlichen (Schadensersatz-)Anspruch durch einen bezifferten Klageantrag mit geltend zu machen. Soweit kommt es in der Regel gar nicht. Damit beißt sich förmlich die Katze in den Schwanz.

Beleidigungen auf Facebook – Der Fall

Der Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfebeschluss vor dem Landgericht Oldenburg für eine beabsichtigte Klage lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Zwei Nachbarn trugen ihren verbalen Konflikt digital auf Facebookseiten aus. Der Meinungsaustausch eskalierte sodann, als ein Nachbar den anderen mehrfach mit Verbalinjurien sexuellen Inhalts bedachte und äußerte:

„…ich wünsche dir und deiner Rasse den tot“.

Das Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetz sieht nur Ausnahmen für den Fall vor, dass die ehrverletzenden Äußerungen in Rundfunk oder Presse begangen worden. Der Umweg über die Schlichtungsstelle fiele dann weg. Dementsprechend führte das Gericht zum obligatorischen Streitschlichtungsverfahren aus:

Jedoch fallen Äußerungen in sozialen Netzwerken wie Facebook leider nicht unter dem Begriff des Rundfunks5.

Demnach wird der zivilrechtliche Rundfunkbegriff von § 2 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag-RStV) definiert. Mitteilungen in Facebook würden nach § 2 Abs. 3 RstV aber nicht als Rundfunk gelten. Danach sind Angebote kein Rundfunk, die weniger als 500 potenziellen Nutzern*innen zum zeitgleichen Empfang angeboten werden (Nr. 1), ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen (Nr. 3) oder nicht journalistisch-redaktionell gestaltet sind (Nr. 4).

Mindestens das Letzte wäre hier der Fall.

Der vom Bundesverfassungsgericht verwendete Rundfunkbegriff geht jedoch weiter.

„Soll die Rundfunkfreiheit in einer sich wandelnden Zukunft ihre normierende Wirkung bewahren, dann kann es nicht angehen, nur an eine ältere Technik anzuknüpfen, den Schutz des Grundrechts auf diejenigen Sachverhalte zu beschränken, auf welche diese Technik bezogen ist, und auf diese Weise die Gewährleistung in Bereichen obsolet zu machen, in denen sie ihre Funktion auch angesichts der neuen technischen Möglichkeiten durchaus erfüllen könnte.“5

Unter diesem Blickwinkel kann das Internet unter den Rundfunkbegriff subsumiert werden.

Das gilt jedoch nicht für die Auslegung des Rundfunkbegriffs im SchStG: Dort gehe es um die gerichtliche Zuständigkeit. Für den ähnlichen Fall der richterlichen Zuständigkeit des Einzelrichters in Zivilsachen hatte der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren unter der Ziff. a) in § 348 Abs. ZPO – Streitigkeiten in Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen – die herausgehobene öffentliche Bedeutung dieser Rechtsstreitigkeiten im Auge (BT-Drucks. 14/4722 S. 88).

Auf Facebook öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten genießen nach Ansicht des Landgericht Oldenburg nicht diese öffentliche Bedeutung. Die Kammer verwendete daher für die hier zu entscheidende Zuständigkeitsfrage die Abgrenzung des § 2 Abs. 3 RStV. Hier handele es sich um eine persönliche Auseinandersetzung, die zudem nur Facebookmitgliedern zugänglich war.

Facebookseiten sind auch nicht als Presse zu verstehen. Unter „Presse“ werden in erster Linie periodisch erscheinende Werke verstanden, es können aber auch Bücher, Flugblätter oder Plakate darunter fallen.7 Nach dem Schutzzweck können Äußerungen der hier in Rede stehenden Form dem nicht gleichgestellt werden.

Im Ergebnis unterlag der Betroffene. Ohne die Durchführung des Streitschlichtungsverfahrens sei die beabsichtigte Klage unzulässig gewesen.

Lösungsmöglichkeiten

Eine Lösungsmöglichkeit wäre eine Gesetzesänderung durch Kodifizierung eines Ausnahmetatbestandes für „neue Medien“, die soziale Netzwerke mit umfasst.

Im Zuge der geplanten Reformierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wäre auch die Landesregierung aufgerufen, diesen Stolperstein im Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetz auszuräumen. Dies ist bislang nicht geschehen.

Hate Speech ernst nehmen

Für Betroffene von Hass im Netz müssen die rechtlichen Handhaben vereinfacht werden. Schlichtungsverfahren oder eifrige Verweise auf den Weg der Privatklage scheinen der falsche Weg.

Gerade nach den Anschlägen in Halle und im Mordprozess Lübke ist Hass im Netz ernst zu nehmen und eine konsequente strafrechtliche und zivilrechtliche Verfolgbarkeit zu gewährleisten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quellen
1 https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/digitale-zivilgesellschaft/was-ist-hate-speech/

2 vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 10.09.2010, 3 O 140/10

3 Roxin/Schünemann (Fn. 4), § 63 Rn. 3.

4 Bartsch, ZJS 1/2017 S.50.

5 Hierzu gesamt der Beschluss des LG Oldenburg vom 21.08.2012, Az. 5 T 529/12.

6 BVerfG.Beschluss vom 27.03.1987 (BverfGE 74, 297, Rn 132)

7 Schiwy/Schütz/Dörr, Medienrecht, 5. Aufl., Stichwort „Pressefreiheit“, S. 424